Anonyme AkademikerInnen
Macht kaputt, was euch kaputt macht! Oder: Was meint Badiou mit Intensität der Existenz?
„Revolution ist nichts für schwache Nerven. Sie ist etwas für Ungeheuer. Du musst verlieren, was du bist, um zu erkennen, was du werden kannst.“ (Hardt/Negri, Common Wealth,347)
Wenn Freiheit die Fähigkeit ist, andere soziale Welten zu konstruieren, dann verheißt die Nabelschau nichts Gutes. Selbst bereits ein Krisenphänomen oder personifiziert ein Symptom der Depression, ein Funktionieren ohne sinnvolle Verbindungen zu Personen und Eindrücken. Diese Form chronifizierter Langeweile, eine „ausdehnungslose Gegenwart“ in Zauberbergatmosphäre, die Trägheit gewohnter Abläufe in vielen Facetten verbirgt die kollektive Sehnsucht nach einem Ereignis. Badiou fordert in seiner Ethik die Treue zu einem Ereignis, für ihn 1968, eine Phase revolutionärer Morgenröte und darin ein Gegenbild, eine vielfältige persönliche Erfahrung, die eine notwendige Orientierung auf ein künftiges Ereignis motiviert. Die Frage der Motivation bleibt zentral, gerade in dem gegebenen schizophrenen Ensemble, worin die Lust an radikalen Veränderungen der Wahrnehmung schon mal entgleiten kann. Mit Badiou kann der Blick dem „Gesetzwidrigen“ der einzelnen Situationen folgen, worin die Frage der Kontinuität, das Festhalten an der Sehnsucht nach jenem radikal Neuen, das für alle gilt, beantwortet wird. Diese Sehnsucht wird vom Begehren, dem „Ungewussten schlechthin“, motiviert. Im Ereignis kommt nur die Leere der vorangegangenen Situation zum Sein, im Medium der Politik etwa in der politischen Selbstermächtigung und Subjektivierung des Feminismus oder in Innovationen der Kunst, Beispiele unhintergehbarer oder nur um den Preis des Verrats ignorierbarer Progression. Das Ereignis tritt im Alltäglichen an die Oberfläche, im „Webstoff der Meinungen“, einer notwendigen und unhintergehbaren Vielheit. Die Ablehnung jeglicher Form von Rigidität und wahnhafter Geschlossenheitsphantasien ist diesem Modell inhärent, doch zeitigt gerade die kapitalistische Verknappung von Wissensgütern in den herkömmlichen Institutionen krudes Verhalten, etwa wenn StudentInnen zu Ritalin greift, um den Fokus ausschließlich auf das Blatt vor ihnen zu richten und mitnichten ihr Bewusstsein zu erweitern. Das existenzielle Begehren resultiert nicht aus dem Mangel, vielmehr aus dem Wissen um die Fülle möglicher Erfahrungen, Begegnungen, die ähnlich dem Bildungskuchen nicht geschmälert werden, je mehr daran teilhaben.
Zugleich motivieren Identifikation und wahrhaftiger Glaube an das Lustprinzip auch hierorts ambitionierte KulturwissenschafterInnen – gerade auch in der elaborierten Aneignung von Spinoza und Foucault – zu fortwährender Unterwerfung. Sie tummeln sich in Disziplinen, deren Wahl ihrem umfassenden Interesse an selbst gewählten intellektuellen Gegenständen folgt und gerade darin neigen sie zu Demut und werden zu willfährigen Opfern institutioneller Ausbeutung und persönlicher Unterdrückung. Gewohnt das Credo ungenügender Kapitalien respektive übermäßiger Einsätze zur Teilhabe am Diskurs und seinen habituellen Implikationen zu besitzen, sind die Entbehrungen und Verletzungen notwendiger Teil der intellektuellen Entwicklung. Läge die Zielperspektive in einem vagen Selbstbild des/der Intellektuellen, stünde der Selbstorganisation der Wissbegierigen lediglich die Frage der Versorgung mit den alltäglich erforderlichen Waren und Dienstleistungen im Wege. Da jedoch das Problem der Anerkennung trotz inflationärer Verwendung des Begriffs weder hinreichend noch annähernd gelöst ist, bleibt die Institution Universität auch im neoliberalen Wettbewerb zentraler Referenzpunkt. Wir betreten als Einzelne, Vereinzelte die Orte intellektueller Zirkulation, worin etwa Modelle kollektiver oder anonymisierender AutorInnenschaft irritieren. Das Potential dieser Taktik ist dauerhaft nutzbar, wenn die konkrete Person hinter dem Label verschwindet und sich zugleich als Teil desselben versteht und deklarieren kann.
Hingegen wird an den Universitäten neben lästigen Lehraufgaben an mäßig bezahlte Lecturers auch allfälliger Kram, Didaktik, Prüfungen ausgelagert, um das Sammeln von Punkten nicht weiter zu behindern. Aus dem angloamerikanischen Raum wurde zwar die Frage der AdressatInnen übernommen, zugleich aber das Paar Forschung und Lehre entkoppelt und samt der proklamierten Freiheit entsorgt. Die Positionen von SprecherInnen und RezipientInnen werden gewahrt, um an Stelle von Beziehungen Hierarchien zu bestätigen. Dem Verwaltungshandeln wird in der Logik von Normierung und Kontrolle umso mehr vertraut, das Zählbare und ihre Reihung werden auch darin bevorzugt, um das Verhältnis von Unterwerfung und Innovation zu bestimmen. Wenn sich deren AkteurInnen auf ein unauffälliges Minimum beschränken, mag das einem bewussten Akt der Verweigerung gleichkommen, das „I would prefer not to“ Bartlebys bleibt darin gegenwärtig, ist aber ähnlich dem Schreiber wenig subversiv. Diese destruktiven Formen der Verweigerung schließen ebenso Möglichkeiten der Großzügigkeit und Solidarität aus, das wesentliche persönliche Potenzial, tätig zu sein, Beweglichkeit und produktiven Austausch zu erfahren. Gerade als Vereinzelte sind wir Teil dieses Prozesses von Abwertung und Anerkennung, bedienen den Markt der Lifestyleökonomie ohne die notwendige Gewissheit und Gelassenheit, dass uns der Verlust an Sicherheit – wenn auch nur die gerade durch den Kritikmarkt getriebene Sau mit allen vorgesehenen Namen bezeichnen zu können – nicht nur ungeheure Freiheit, sondern auch neue Gedanken und Vertrautheiten gewinnen lässt.
Nun ist der Platz für einzelne, freischaffende Intellektuelle begrenzt, daher erscheint das Arrangieren, ein möglichst bequemes Einrichten in den gegebenen Verhältnissen durchaus vernünftig. Die Sehnsucht nach Radikalität bleibt allerdings suspendiert, wenn nicht auch sie zum narzisstischen Pathos gerinnen soll. Die von Badiou proklamierte Intensität der Existenz in Kunst, Liebe, Politik und Wissenschaft wird zum persönlichen Credo und Imperativ einer Szene, die sich selbst nicht genügen kann. Solange das Ausmaß an Aktivität die gängige Währungseinheit bildet, entsteht kein Geschwindigkeitsrausch, worin in einem Moment surrealer Intensität die Bewegung zum Stillstand kommt. Die Aufforderung zu notwendigen Impulsen, um zumindest in ereignishaften Ausbrüchen die überaus flexible Ordnung zu stören, wird zwischen den Positionen Kunst/Wissenschaft und Politik herumgereicht. Bliebe noch das Feld der Liebe, um die Faszination an radikalen Veränderungen zu erproben. Da die meisten Leute im Bett sterben und la petite mort befreiend und befriedigend wirkt, ist also Sex die vorläufig bestmögliche Antwort in einer Phase revolutionärer Stille. Zudem ist es überaus beruhigend so zu tun als ob uns alle Zeit der Welt zur Verfügung stünde und auch Jahre im Sanatorium unbedeutend wären. Der bevorzugte Ort wäre hingegen das Labor, eine Trainingssituation in freundlicher Atmosphäre in der Gewissheit, dass in der „Nicht-Anerkennung der Welt, wie sie ist, und in der Nicht-Anerkennung der Menschen, wie sie sind“ (Robert Menasse) die wesentliche Differenz zur gouvernementalen Ordnung und ihrer identitären Angebote liegt. In dem dies für alle gilt und gefordert wird, ist auch der Wahrheitsanspruch evident. Das Pathos und die Ungeduld alter Männer sind insoweit verständlich, als Organisationsfragen eher lästig denn müßig sind. In der Bestätigung geteilter Sehnsucht wird die Fülle an Brüchen und kritischen Haltungsübungen in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht. Doch selbst wenn die Partei nicht einmal mehr als negativer Referenzpunkt taugt, muss in radikaler Perspektive neben der „Wiederaneignung der Produktionsmittel“ auch um eine Konzentration des Vermögens von Devianz und Subversion gekämpft werden, weniger um nach einem gültigen Namen für den Weg zu ringen als das Ziel nicht länger mit ihm zu verwechseln.