In-between

Politische Räume und Konnexionen als Bedingungen der Möglichkeit nicht dermaßen regiert zu werden

“The political model for me is affirmation, not revolutionary deconstruction. The subversive moment is when we manage to reground some of the alternative modes of desire into constructive viable alternatives, as you point out in the example of Social Forum.

If we don’t ground the queer objective, then they are just caught in a narcissistic logic of reasserting the very identities that encage us. (…) Affirmative politics is about experimenting with alternatives, working both at the concrete and the imaginary levels.” (Rosi Braidotti)

“I could do everything I never wanted.“ (Lady Gabi)

Gut zu funktionieren ist ein deutliches Zeichen von Langeweile. Die Form der Verlässlichkeit, die ich etwa in der Stromversorgung auch dann nicht missen möchte, wenn mein Tanzen im Wildwuchs der Rosen von den Verhältnissen selbst hervorgerufen wird, bietet im kapitalistischen Modus ein grauenvolles Selbstbild. Das darin opportune einförmige Funktionieren korrespondiert mit dem Bedürfnis nach Distinktion innerhalb hierarchischer Strukturen, die wenig mit Arbeitsteilung aber umso mehr mit dem darin uneinlösbaren Versprechen nach Anerkennung zu tun haben. Die Lust an der Destruktion und die Einordnung in gegebene Herrschaftsverhältnisse bleiben in der Spannung von Unterdrückung und Unterwerfung aufrecht: Hegels Anerkennungsparadoxon wird darin jeweils aktualisiert. Zwar erlauben Subordinationsbeziehungen die mächtige Demonstration eines vermeintlich selbstbewussten Willens, doch die Bestätigung einer lebendigen Beziehung mit der Welt bleibt suspendiert, solange dem Gegenüber lediglich eine Funktion – des Befehlens oder Gehorchens – zukommt. Die notwendige und gewünschte Anerkennung ist nur in persönlichen Beziehungen zu bekommen, die eine Begegnung Gleicher erlaubt und deren Spannung in einem Spiel von Nähe und Distanz selbständiger und zugleich einander bedürfender Personen besteht. Dahingehend geglückte Verbindungen bieten die Voraussetzung geteilter Erfahrungen, deren Logik nicht nur einer konkreten Zielorientierung folgt, sondern vielmehr die Möglichkeit vielfältiger Wahrnehmungen eröffnet. Illustrative Beschreibungen dieser Dynamik können herausragenden Ereignissen entlehnt werden, deren Beispiel weniger im Pathos historisierender Betrachtung als vielmehr im Vergnügen der Wiederholung liegt, der Barrikadenbau im Mai 68 in Paris, worin Cohn-Bendit zwar keinen taktischen Sinne erkennt, aber die Lust an der Beteiligung festhält:

„Das gemeinsame Handeln materialisierte sich im Ausreißen des Straßenpflasters und im Bau der Barrikaden. Hier wurde die Grundlage für das Entstehen neuer emotionaler Beziehungen gelegt. Diese Barrikadengemeinschaft verkörperte den großen Einbruch der Zukunft in die Gegenwart. Diese Nacht hat viele Psychoanalytiker arbeitslos gemacht. Tausende von Leuten spürten die Lust, miteinander zu reden und zu lieben.“

Jener Raum, der durch Provokationen und organisierte Verweigerung geschaffen wurde, ist in jedem weiteren Versuch aktualisierbar; die Erzählungen bekannter alter Männer ermöglichen Einblicke in emanzipative Erfahrungen Einzelner, die jedoch kollektiv gemacht werden. Der Wunsch nach „Revolution“ und „Phantasie an die Macht“ ist insofern teilbar, als im Bruch mit autoritären Haltungen erst die Möglichkeit zu geglückten Beziehungen geschaffen wird. In der Perspektive Antonio Negris werden auch die Ereignisse im Italien der 70er Jahre als konkrete Interaktion erinnert, woraus eine Verzerrung der hegemonialen Verhältnisse resultiert, auch wenn die staatliche Repression zur Flucht zwingt. Er fasst „Glück“ als „ein Bündel von Erfahrungen, Entwicklungen, Beziehungen, in denen das Verhältnis zur Welt und zu sich selbst so beschaffen ist, dass es jederzeit verändert werden kann. Es gibt kein einsames Glück. (…) Es [Mailand 1977] war eine totale Immanenz, es war eine geschaffene, gelebte und gewollte Erfahrung. In der Verallgemeinerung dieser Erfahrung wurde sie zur Freiheit. (…) absolut revolutionär daran war der Wille, die menschliche Erfahrung in ihrer Gesamtheit zuzulassen und zu leben.“

groupuscules

Das Interesse gilt hier den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten und Vermögen der AkteurInnen, einer Intensität, die gerade in fördernden Allianzen die Vielschichtigkeit und Uneinheitlichkeit der einzelnen Persönlichkeiten hervorbringt. Der politischen Vorstellung von Homogenität – z.B. als Resultat gemeinsamer Interessen – und Totalisierung wird der Wunsch nach möglichst vielen Variationen des und im Singulären entgegnet und gerade die Differenz affirmiert. In der Bildung von Subjektgruppen, freien Assoziationen, die analytisch und wunschbezogen agieren, soll die Reduktion auf das einförmige Wirken in Verwertungsprozessen durchbrochen werden. Die Suche nach dahingehenden Gruppensubjektivitäten umfasst immer schon mehrere, da die divergierenden individuellen Wünsche und Vorlieben bereits jeglicher Geschlossenheitsphantasie widersprechen.

Nun kann die Einförmigkeit in postfordistischen Anforderungsprofilen auch im Zwang zur Neuerfindung liegen und ihre Nähe zur Freiheit der Kreativität ist vielfach bestechend. Die persönliche Karriereoption weist darin auf eine spezifische Form der Klugheit: eine Beschäftigung mit bedeutsamen Gegenständen und die damit verbundene intellektuelle Befriedigung ist in professionellen Zusammenhängen vorgegeben, ebenso wie die Drohung des Versagens. Eine Verwechslung mit sozialistischer Kollektivität wird zuverlässig von den engen Grenzen des kapitalistischen Regimes verhindert, dessen Ausschlüsse mal mit Gender und Diversity Konzepten doch beständig entlang der Kategorien von Nationalität, Klasse, Rasse und Geschlecht wirken. Die Analyse des Gegebenen ist überaus differenziert, nur ist ihr die Gefahr des Lamentos ebenso wie des Trostes – indem das Funktionieren erfasst wird – inhärent; ein Ausweg ist damit noch nicht skizziert.

Im konkreten Tun, dem Üben kollektiver Selbsttechniken, Experimentieren und wieder Verwerfen werden Alternativen zu vorgegebenen Alternativen gesucht. Darin gelingt nicht nur das Aushalten der anerkannt schlechten Verhältnisse, es provoziert vielmehr Lust an der Veränderung.

In einer mikropolitischen Perspektive eröffnet sich ein vielfältiges Ensemble subversiver, widerständiger oder auch (nur) subkultureller Zusammenhänge. Diese Aktivitäten können in ganz unterschiedlichen Dimensionen gesehen werden, sie reichen von persönlicher Großzügigkeit, kollektiven Wohn- oder Betriebsstrukturen bis zu Sozialforen, die vor allem auf globaler Ebene durch das Argument der großen Zahl und die Zusammenführung des Heterogenen faszinieren. Neben der Faszination gibt es auch die kritische Sicht dieser Versuche: Je nach Position der KritikerInnen wird eher die herrschaftliche Orientierung im Beharren auf das Recht auf kommunale Unterstützung oder das Fehlen eindeutiger Abgrenzung zu rechten AkteurInnen betont.Und selbst in der Neigung der Faszination kann der Mangel eines gemeinsamen Movens, der konkreten Alternative zum kapitalistischen Funktionieren bemerkt werden. Als eine Ausprägung politischer Regression wird z.B. eine „gleichgültige Differenzordnung“ (Frank Stühlmeyer) beschrieben, worin politische Diskurse jede Fähigkeit verlieren, „die Wünsche eines Kollektivs zu sammeln und die Individuen zu berühren“. Soll die Diagnose besonders drastisch erscheinen, wird gerne auf ein psychoanalytisches Begriffsinstrumentarium zurückgegriffen und in der Fragmentierung auf psychotische Züge verwiesen – wobei in den fehlenden Bezügen aufeinander vielleicht eher von depressiver Interesselosigkeit gesprochen werden könnte.

Was ist Kritik?

Die Huldigung der Kategorie des Neuen und das Streben nach Radikalität verhindern selbstbewusstes Wahrnehmen der gegenwärtig gebotenen Äußerungen an freundlichen, kritischen, essentiellen Kontrastierungen innerhalb des hegemonialen Gefüges. Vieles gelingt, trotz der beliebten Dynamik in linken Zusammenhängen „den Feind zu benennen“ und einem identitären Selbstbild nachzuhängen. In einer kritischen Sicht werden die konstitutiven Ausschlüsse vorgegebener Rollen sichtbar, deren genaue Entsprechung im Ideal des militanten Straßenkämpfers oder der besonders entschiedenen Streiterin gegen Antisemitismus/Rassismus ähnlich fasziniert, wie etwa das Bild der „guten Mutter“ oder des „aufrechten Konservativen“. Wird das Ideal der Eindeutigkeit und Sicherheit verlassen und die Gewalt herrschender Formationen in der Normalisierung strikter Grenzen des Sagbaren, Wünschbaren oder Erreichbaren dekonstruiert, erscheint auch das Spektrum an Identifizierungen und Möglichkeitsräumen wesentlich erweitert. Radikalität, die nicht zur Pose erstarrt, berührt vielmehr Fragen der Ästhetik. Blüten dieser an die Wurzel der autoritären Verfasstheit reichenden Kritik können somit nicht in neuer Eindeutigkeit erscheinen. Wenn die hegemoniale Form der Vergesellschaftung weitgehend gebrochen oder konkreter: von einer großzügigen Wandelbarkeit, Verwertungs- und Vereinnahmungsfähigkeit gekennzeichnet ist, dann können kontrastierende Entwürfe nur im Spannungsfeld der gegebenen Ambiguitäten situieren. Dass gerade das neoliberale Paradigma der Flexibilität heterogene Bezüge fordert, erlaubt auch den Bruch mit der Ernsthaftigkeit kontinuierlicher Karriereverläufe und Beziehungsmodelle. Dem zugleich herrschenden Sicherheitsdiskurs, der durch immer explizitere Kontrollen das Vertrauen in einen schützenden wie strafenden göttlichen Blick in der Kompetenz staatlicher Repression aktualisiert, sollte zumindest eine ähnlich attraktive Auswahl an solidarischen Unterstützungsangeboten gegenüberstehen. Ein Kennzeichen dahingehend solidarischer Praxen ist die Gewissheit des Überflusses an Produkten und Bedeutungen, weshalb ein Beharren auf den Tausch von Äquivalenten – als Kennzeichen einer Ökonomie des Mangels – auch getrost aufgegeben werden kann. Das Vertrauen in geteilte Vorlieben und entsprechend wirksame Guerillataktiken nähren umfangreiche künstlerische Produktionen, die Erfahrungen einer „Universalität des Intimen“ (Ariane Mnouchkine) hervorbringen oder bereits ähnlich: Fouriers Prämisse einer Vielzahl an Serien geteilter Leidenschaften, worin er neben der Abschaffung der Armut vor allem das Problem der Langeweile löst. In diesen auf Attraktion und Affinität basierenden Assoziationen verlieren institutionelle Beschränkungen ihren Wert. Das ständig proklamierte Bedürfnis nach Sicherheit wird obsolet, sofern die Faszination der Überschreitung nicht auf den Eskapismus als Kehrseite des alltäglichen Funktionierens verweist.

In ihrer Zusammenstellung konstitutiver Elemente postfordistischer Unterdrückung und dem entgegengesetzten Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung gelingt Hardt/Negri ein Durchbrechen der dominanten Lethargie und Verzweiflung, die viele Linke nach den Ereignissen von 1989 erfasst hatte. Die Autoren ermöglichen in ihrem breit rezipierten Entwurf Empire eine Aktualisierung von Bewegungen und operaistischen Positionen, die in ihrer Redundanz das Verschwinden des Kapitalismus als Selbstverständnis und Leichtigkeit, gleichsam als ontologische Tatsache erscheinen lassen. Trotz der Vielschichtigkeit der Analyse resultiert ihr Manifest in der Gegenüberstellung zweier stilisierter Blöcke: dem Konstrukt Empire begegnet die Menge, Multitude. Die Kräfteverhältnisse der beiden mögen gegenwärtig ungleich wirksam sein, doch entlang der hypostasierten Fähigkeiten der ProduzentInnen kann auch eine revolutionäre Teleologie wiederbelebt werden. Gegen Ende ihres Buches bleibt: „Das einzige Ereignis, auf das wir noch immer warten, ist dasjenige der Einrichtung oder genauer: der revolutionären Erhebung einer mächtigen Organisation.“

Das Bild der Multitude als Ensemble mächtige ProduzentInnen, die in der Lesart operaistischer Theorie die gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben, haftet unangenehm an der zentralen Funktion der Arbeit. Inwiefern produktiv oder entfremdet, der Begriff umfasst jedenfalls die Bedeutung von Mühsal und Vernichtung. Robert Menasse fragt pointiert: „Ist es nicht barbarisch, nach Auschwitz Arbeit als Grundlage von Freiheit zu setzen?“ Das auch vom nationalsozialistischen Regime ernst gemeinte Versprechen, dass Arbeit frei macht, wird von sozialistischen TheoretikerInnen ebenso wie in völkischen Übernahmen beteuert. Wer dem Privileg des Einschlusses in die Gemeinschaft der Werktätigen unterworfen wird, variiert entsprechend der ideologischen Position. Gegenwärtig unterstützen Gewerkschaften die staatliche oder kommunale Finanzierung besonders unliebsamer Tätigkeiten, die zudem jegliche gesellschaftliche Notwendigkeit entbehren. Das Modell der „Kiezläufer“, das 2002 von Peter Manasse und Werner Blessing, zwei Arbeitslosen aus Berlin Wedding entwickelt und vom dortigen Quartiersmanagement getragen wurde, kam erst in Berlin als gouvernementalen Maßnahme für Eineurojobs und BewohnerInnen von Problembezirken zum Einsatz und gilt nun auch in Wien als sinnvolle Aktualisierung des Blockwartsystems. Der Abfall und die harmlose Devianz der PassantInnen wird Ziel von Kontrolle und Überwachung. Disziplinierung als verwaltungspolitisches Handeln üben Kiezläufer und Waste Watcher in einem stadtumfassenden Panoptikon, ihre ermüdende Erziehungsarbeit wird in der Demonstration von Macht und Ordnungswahn sichtbar. Die Erwartung einer Implosion des Kapitalismus in Anlehnung an den Zusammenbruch der europäischen sozialistischen Staaten drängt sich auf. Die auch in Empire zum Ausdruck gebrachte eschatologische Sehnsucht ist entlang der zahllosen nationalstaatlich durchgeführten und international vereinbarten Verbrechen teilbar. Jedenfalls mittelbar tödliche Ausbeutung, Krieg, Polizeigewalt und Migrationsbarrieren explizieren die Notwendigkeit revolutionärer Veränderung. Doch dass die Ablehnung dieser Gewalt die Analyse des eigenen Funktionierens im Gegebenen suspendiert, ist bedauerlich. Zumindest an dieser Stelle sollten die zahlreichen Hinweise feministischer Theoretikerinnen aufgegriffen werden, dass auch die dominanten Machtformen der beständig wiederholten Reproduktion bedürfen, um wirksam zu sein. Eine Strategie der Macht kann im Verdecken und Negieren dieser Notwendigkeit der Wiederholung materieller Praxen zur Aufrechterhaltung des Bestehenden identifiziert werden. Frank Stühlmeyer leitet aus dieser Erkenntnis eine Annäherung an den Begriff der Hegemonie ab:

„Das Geheimnis etwas erfolgreich verschwinden zu lassen, besteht darin, es heimlich verschwinden zu lassen. In politischen Kontexten hat sich für diese Zauberei das Wort Hegemonie eingebürgert. Denn jede Hegemonie ist die Amnesie eines Möglichkeitsraums, die dafür sorgt, dass das, was ist, in seinem So-Sein fraglos wird, in seinen Anfängen und Strittigkeiten nicht mehr erinnerbar ist.“ (Frank Stühlmeyer: Zur Welt flüchten, S. 18)

Was ist Politik?

Dieses Modell des virtuellen Raumes, eines Möglichkeits- oder Übergangsraumes wird von TheoretikerInnen ganz unterschiedlicher Verortung – Hannah Arendt ebenso wie dem Kinderpsychoanalytiker Winnicott – verwendet.

Hannah Arendt antwortet auf die Frage Was ist Politik: „… der Mensch ist a-politisch. Politik entsteht in dem Zwischen-den-Menschen, also durchaus außerhalb des Menschen. Es gibt daher keine eigentlich politische Substanz. Politik entsteht im Zwischen und etabliert sich als Bezug.“

In diesem Möglichkeitsraum entstehen Beziehungen und werden Bedeutungen erzeugt. Darin kann die Wahrnehmung einer Realität gelingen, die etwas bedeutet, also nicht schon für sich bedeutsam ist, sondern erst durch das kollektive Handeln aktualisiert wird. Der Begriff des Handelns ist bei Arendt wesentlich vom Herstellen und Arbeiten, also dem Bereich der Mittel und Zwecke unterschieden. Darin liegt das jeweils zu aktualisierende Potenzial von Freiheit und Kreativität.

Bei Arendt wird dieser Möglichkeitsraum als öffentlicher und kollektiver Ort gefasst. In einer aktuellen Sicht kann vor allem die Dimension der Öffentlichkeit in Frage gestellt werden. Einerseits werden die Produktionen von Gruppen vor allem durch ihre virtuelle Präsenz in beeindruckender Weise dokumentiert, andererseits verweisen besonders die auf freundschaftliche Nähe basierenden Praktiken auf differenzierte Ausschlussmechanismen – Peergruppen eröffnen selbstgenügsame Rückzugsmöglichkeiten. In ihren kulturellen Praxen changieren die in diesen Gruppen etablierten Beziehungen zwischen der Unterstützung des Einrichtens und Aushaltens in den gegebenen Verhältnissen und der Etablierung von Beziehungsformen, die das herkömmliche Funktionieren durchbrechen. Zwischen den AkteurInnen kann ein solcher Experimentierraum entstehen, fördernde, einander ergänzende Konnexionen. Doch anders als im Begriff der Szene, die ebenso auf geteilten Vorlieben oder Überzeugungen basiert, erfolgt der Zugang primär über persönliche Kontakte und private Treffpunkte. Eine herausragende Funktion von Öffentlichkeit, die Gelegenheit nicht nur der konkreten Teilhabe sondern auch der Übernahme oder Adaptierung dessen, was gefällt, wird hier verweigert.

Verbindungen zwischen diesen Gruppen und im besten Fall Assoziationen erscheinen auch nicht per se sinnvoll. Zwar werden der Begriff des Netzwerks und die als Zielorientierung gefasste Aktivität des Vernetzens inflationär verwendet, doch können Redundanzen und Variationen des Nebeneinanders ebenso erquicklich sein, vor allem dann, wenn es nicht um ein bestimmtes oder bestimmbares Ziel geht.

Mit einem Rückgriff auf die terminologische Werkzeugkiste von Deleuze und Guattari lässt sich die philosophische Vorliebe für das Werden betonen, das viel eher räumlich, geographisch als in einer zeitlichen Abfolge vorgestellt wird. Die beliebten Fluchtlinien sind darin von taktischer Bedeutung und sie führen aus diesem simplen Bild von Empire versus Multitude heraus. Immer wieder geht es auch um die Frage der Entstehungsbedingungen solcher Räume der Differenz, konkret politischer Räume. Ihre Vorläufigkeit, Brüchigkeit, ihre Beweglichkeit wird im Begriff der Fluchtlinien skizziert: Fluchtlinien können weder der Reproduktion des Hegemonialen zugeordnet werden noch bleiben sie dem System durch den (dialektischen) Widerspruch verbunden. In diesem Ansatz wird das Prozesshafte, Uneindeutige als Vermögen beschrieben. Das gerne betriebene Bekenntnis zum Scheitern wird darin auch weniger verführerisch, da der Zielorientierung der hegemonialen Ordnung nicht mehr die Definitionsmacht über das Ensemble der sozialen Bewegungen zuerkannt wird.

Wenn wir uns eine Gesellschaft der Freien und Gleichen wünschen, oder mit Brecht formuliert, MitkämpferInnen, die „unter sich keine Sklaven und über sich keine Herren“ sehen wollen, dann ist es überaus hilfreich, an einer Vervielfältigung der Möglichkeit von mannigfaltigen Wahrnehmungen und Erfahrungen zu basteln. Dazubedarf es auch eines veränderten Blickes: „If revolutionary glasses don’t allow us to see that, then there is no more revolution, it’s all finished.“ (Felix Guattari: Soft Subversions, S. 84)

Rosi Braidotti and Rutvica Andrijasevic: Geometries of Passion. In: Marina Grzinic, Rosa Reitsamer: New Feminism. Worlds of Feminism, Queer and Networking Conditions. Löcker 2007, S. 29

Lady Gabi Spoken-Words-Performance, August 2007, 5. Ladyfest Berlin. Zit. nach Ellen Geisriegler: Lady?fest. The future of feminism? In: fiber 12 (2007), S. 11f.

Jessica Benjamin: Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Frankfurt/M.: Fischer 51999.

Daniel Cohn-Bendit: Der große Bazar. Gespräche mit Michel Lèvy, Jean-Marc Salmon, Marel Sell. München 1975, S. 34.

Antonio Negri: Rückkehr. Alphabet eines bewegten Lebens. Frankfurt/New York 2003, S. 34.

Antoni Negri/Michael Hardt: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt/M.; New York 2002.

Frank Stühlmeyer: Politisches Handeln jenseits der Angst – Spiel und Übergangsräume bei D.W. Winnicott und Hannah Arendt. Oktober 2004.

http://hannaharendt.net/research/stuhlmeyerII.html

Frank Stühlmeyer: Zur Welt flüchten. Überlegungen zum Weltbegriff ausgehend von Hannah Arendt. HMKV 2005.

http://www.ambivalenz.de/text/zur-welt-fluechten_ausgehend-von-Arendt_2005.pdf

Hannah Arendt: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlaß (1950-1959). München: Piper 1993, S. 11

Robert Menasse: Verlernt die alte Losung! In: Die Presse. Spectrum, 01.09.2007.

Felix Guattari: Chaosophy. Soft Subversions. New York: Semiotext(e) 1996, S. 84